01.07.2009 Expeditionsbericht zur Besteigung des Mt. McKinley

13.05.09 Anchorage / Alaska

Unser Team „Germany’s Westend Team“, das sind Alexander (33), Heiko (40), Eberhard (58) und ich (65) sind am 12.05. in Anchorage angekommen und haben damit zum ersten Mal den Boden Alaskas betreten. Beim Herflug treffen wir noch 8 andere deutsche und 2 österreichische McKinley Aspiranten, die zeitgleich mit uns auf den Berg wollen und mit denen wir in den nächsten 3 Wochen viele Erlebnisse teilen werden.

Wir nutzen die Zeit in Anchorage, um uns in der „REI outdoor-mall“ (da sind zur Vermittlung der outdoor-Kompetenz Eispickel anstelle von normalen Türgriffen an den Eingangstüren angebracht) mit Verpflegung und noch fehlender Ausrüstung einzudecken und natürlich auch, um die Stadt etwas näher kennen zu lernen.
Pro Mann kommen zu unserer ca. 45 kg schweren Ausrüstung noch:

  • 10 Gaskartuschen (Butangas)
  • 20 Tüten Trockensuppen
  • 14 Expeditionsmenüs
  • 16 Tüten Nachtisch
  • 36 Ultra-Sports-Energieriegel
  • 20 Portionen Ultra-Sports-Buffer (Vitamin- und Mineralstoffpulver)
  • Trockenmilch, Zucker, Wurst, Käse, Marmelade, Cerealien, Kekse, Nüsse,1 Brot, Bonbons
  • sowie pro 2 Mann 1 Zelt, 4 Firnanker, 1 Gaskocher

Auf einem großen Parkplatz vor dem „Hostelling International Anchorage“, der am Abend leer ist, „sortieren“ wir unsere Ausrüstung und Verpflegung so, dass alle Einzelteile (pro Mann über 200) in Rucksack und Pulkatasche (die später auf einem Schlitten, der „Pulka“ transportiert wird) verstaut werden. Hier haben wir „mit deutscher Gründlichkeit“ die letzte Möglichkeit, noch einmal jedes Teil genau daraufhin zu überprüfen, ob wir es tatsächlich brauchen oder aus Gewichtsgründen lieber unten lassen sollen.

14.05.09 Anchorage → Talkneeta → Kahiltna Base Camp (2.200m)

In der Früh um 06:00h verlassen wir mit einem Kleinbus Anchorage und erreichen nach 3 Stunden Talkeetna, „a quaint little drinking village with a climbing problem“.

Auf die „drinking village“ komme ich zum Schluß noch zu sprechen und das „climbing problem“ heißt soviel wie: ab hier geht es jetzt los!
Vorher erhalten wir aber noch eine detaillierte – mit Video unterstützte –  Einweisung durch einen Denalipark-Ranger, der uns auf spezielle Gefahren und Risiken hinweist sowie insbesondere auch den Gebrauch der CMC (clean mountain can), also die transportable Toilette erläutert, damit kein „human waste“ auf dem Berg zurückbleibt. Von ihm erhalten wir auch die so wichtige permission, die uns jetzt befähigt, mit K2, einer der drei autorisierten „airlines“ umgehend zum Flug auf den Kahiltna Gletscher, dem Base Camp zu starten.

Dazu ziehen wir unsere „Bergklamotten“ an, denn von den sommerlichen Temperaturen in Talkeetna von über +20°C müssen wir uns jetzt verabschieden und auf die winterlichen Temperaturen von etwa -5°C auf dem Gletscher in 2.200m einstellen.

Um die lange Strecke Fußmarsch zum Basislager auf 2.200m – „1 Stunde Flug ersetzt 1 Woche Anmarsch“ –  durch versumpfte Tundra, die zudem „Bären-Country“ ist, zu vermeiden, fliegen wir – wie die anderen Expeditionen auch – mit einem robusten, einmotorigen Kleinflugzeug auf den Gletscher. Obwohl wir die schweren Bergstiefel, die warme Unterwäsche und diverse Fleece- und Windshell-Anoraks bereits angezogen haben, beträgt z.B. mein Fluggepäck 39 pound = 18 kg (Rucksack) plus 56 pound = 26 kg (Pulkatasche) also zusammen ca. 44 kg. Dies ist das Gewicht für Ausrüstung und Essen, was jeder von uns ab jetzt zu transportieren hat.
Der Flug auf den Gletscher mit der einmotorigen, gletschertauglichen Maschine (Kufen zur Schneelandung), die mit uns 4 vom Germany’s Westend Team und  unserer Ausrüstung beladen ist, ist ein eigenes Abenteuer. Bei dem 50- minütigen Flug überqueren wir zuerst die Tundra in den tieferen Lagen südlich der Alaska Range. Die Landschaft ist zunächst grün, unbewohnt, der Baumbestand niedrig und abnehmend, von großen Flüssen durchzogen, Bären und Elche kann man zwar nicht sehen aber erahnen, schließlich weiss werdend und immer mehr von Schnee und Eis bedeckt. Schon früh tauchen am Horizont die 3 höchsten Berge Alaskas, der Mt. Foracker (5.304m), der Mt.Hunter (4.442m)  und der mächtig hervorstechende Mt.McKinley (6.194m) als breite und hohe Massive auf.

Auf dem Co-Pilot-Sitz angeschnallt kann ich die Arbeit des Piloten genau verfolgen. Es hat nur wenig mit der „normalen“ Fliegerei in unseren Breiten zu tun, was hier in Alaska abläuft. Geflogen wird bei K2 auf „Sichtflug“. Das bedeutet, dass der Pilot sich seinen Weg durch Wolken und die inzwischen erreichten Berge suchen muss. Ich habe fortwährend das Gefühl, dass er einige Male geradewegs auf eine Felswand zusteuert und – für mein Gefühl – dann erst im allerletzten Moment abdreht, die Berührung mit dem Fels nur um wenige Meter vermeidend und um dann der natürlichen Kontur des Berges folgend allmählich dem Kahiltna-Gletscher, dem Basislager des Mt.McKinley näher zu kommen. Erkennbar wird das Lager an einigen dunklen Punkten auf dem Gletscher, den dort aufgebauten Zelten von vor uns gestarteten Expeditionen. Nach einigen wilden Kurven bei gleichzeitigem Sinkflug, was mich einige Male heftig „schlucken“ lässt, setzt der Pilot die Maschine gegen die ansteigende Fließrichtung des Gletschers ziemlich weich auf dem schneebedeckten Kahiltna-Gletscher auf. Rotorblätter und Kufen sorgen dafür, dass der Schnee seitlich wegstiebt und das Flugzeug dann in einem großen Schneewirbel zum Stehen kommt.

Sofort lernen wir Lisa kennen; sie ist nicht sehr groß, dafür etwas rundlich, freundlich und dynamisch, der „General Manager“ halt hier auf dem Gletscher. Sie „wohnt“  in einem größeren, beheizten Zelt und verbringt hier Wochen (oder Monate) am Stück. Von ihr bekommt jeder eine Pulka (ein einfacher Plastikschlitten), die wir in den nächsten Wochen noch viele Male verfluchen und beschimpfen werden, weil sie nicht so „laufen“ wird, wie wir es gerne hätten.

Hier im Base Camp machen wir zum ersten Mal das, was wir in den folgenden 2 ½ Wochen noch viele Male wiederholen werden: eine tiefe Grube für das Zelt graben, das kleine Zelt aufbauen, Eisblöcke sägen und damit das Zelt nach allen Seiten umbauen und vor dem Zelteingang eine Kochstelle ausgraben, um darin etwas Schutz für den Kocher vor dem nahezu immer präsenten kräftigen Wind zu haben.

Das Zweimann-Expeditionszelt ist ziemlich beengt mit ca. 2,50m Länge x 2,00m Breite x 1,20m Höhe. Eberhard und ich teilen uns ein Zelt und Alex und Heiko das andere. Wegen der zu erwartenden Stürme, sollten die Zelte am Mt.McKinley entweder komplett in einer Grube „verschwinden“ oder durch hohe Eiswälle umgeben sein, so dass der Wind das Zelt nicht direkt erfassen kann.
(meine O2-Konzentration am Abend = 95%)

15.05.09 Kahiltna Base Camp (2.200m) → Ski Hill (2.375m)

Wir starten bei sonnigem Wetter und wenig Wind in unseren 1. Tag am Berg. Nach dem Zeltabbau vergraben wir zunächst 2 Gaskartuschen und einige Tüten Expeditionsnahrung im Eis der so genannten „Cache-Area“ und markieren die Lagerstelle mit einem langen Bambusstab, zusätzlich gekennzeichnet mit unserer Expeditionsnummer 710. Diesen Vorrat brauchen wir eventuell auf dem Rückweg, falls wir nicht direkt vom Gletscher zurückfliegen können.

Dann packen wir Rucksack und Pulka und machen uns als Viererseilschaft auf zum ersten Lager nach Ski Hill. Sofort lernen wir die Tücken der Pulka kennen. Das erste „Bergstück“ ist ein „Bergabstück“ mit 175m Höhendifferenz.  Beim Bergabgehen läuft die Pulka entweder aus der Spur oder kippt um oder läuft uns in die Hacken. Außerdem sind wir alle 4 erstmals auf Schneeschuhen unterwegs und auch diese erweisen sich als „gewöhnungsbedürftig“, d.h. immer wieder verliert einer von uns einen Schneeschuh und dann müssen alle am Seil anhalten.

Auf dieser ersten Etappe gibt es zahllose Gletscherspalten links, rechts, unter uns, große, die sich weit öffnen und kleine, die von Schneebrücken verdeckt werden. Wir halten uns deshalb „metergenau“ an die teils erkennbare „Spur“ anderer Expeditionen und teils an den von anderen Expeditionen gesetzten „wands“, kleinen Bambusstöcken, die aus dem Schnee herausragen.

Für die 9 km lange Strecke bis zum Lager Ski Hill benötigen wir 31/2 Stunden. Für mich ist der Aufstieg zu schnell und wir haben nur 2 kurze Pausen mit dem „Ergebnis“, dass mein offensichtlich sensibler Magen übersäuert. Zur Begrüßung von Ski Hill muss ich mich – wie nach einem „am Anschlag“ gelaufenen Marathon – erst einmal übergeben. Nach kurzer Zeit und mit Hilfe eines Protonenhemmers, also einer  „Entsäuerungspille“ aus Eberhard’s Berg-Apotheke, bin ich wieder o.k. Mit fällt ein, dass ich morgens keinen Ultra-Buffer getrunken habe, der die Übersäuerung sicher verhindert hätte und es bleibt die Erkenntnis, dass man „pole, pole“ (langsam, langsam wie man am Kilimandscharo sagt) ernst nehmen sollte, was dann auch forthin geschieht.
(meine O2-Konzentration am Abend = 95%)

16.05.09 Ski Hill (2.375m) → Kahiltna Pass (3.030m)

Heute haben wir beschlossen, dass wir in 2 Zweierteams Alex + Heiko voraus und Eberhard und ich etwas langsamer hinterher gehen werden. Der Tag beginnt mit der Besteigung des Ski Hills. Dieser hat seinen Namen davon, dass er aussieht wie so ein richtig schöner „Ski-Hausberg“, 200 – 300 Meter hoch und es dauert fast 2 Stunden ehe wir ihn – mit der Pulka im Schlepp – überwunden haben.

Die Herausforderung bei dieser Etappe ist das Ziehen und das Handling der Pulka, da heute die ersten steilen Stücke zu bewältigen sind. Vor allem am Ski Hill und auch bei anderen steilen Abschnitten finde ich es sinnvoll, die vor mir liegenden Passagen durch das Zählen der Schritte in Einzelstrecken aufzuteilen und sich so zu motivieren, „längere Passagen“ durchzugehen, um zu vermeiden, dass man unnötige Kraft verschwendet, die Pulka im steilen Gelände nach Stehpause anziehen zu müssen. In den Bereichen um 3.000 m Höhe macht sich die dünne Luft unter der Belastung des Pulkaziehens + Rucksacktragen + steiles Gelände erstmals richtig bemerkbar. Die maximale Schrittzahl im steilen Gelände sind anfangs 100 Schritte, dann 50 und gegen Ende der Etappe sind bereits 10 ununterbrochen gegangene Schritte schon so eine Art Erfolgserlebnis. Dummerweise habe ich mir am Vortag an beiden Ferseninnenseiten Blasen gelaufen, die jetzt ziemlich schmerzen.
Nach 5 Stunden erreichen wir Lager 2  auf 3.030m und die „Freizeit“ beginnt mit – the same procedure as every day – Loch fürs Zelt graben, Eisblöcke sägen, Küchenkuhle graben, Zelt aufbauen. Es geht dann weiter mit Schnee holen, Brenner anwerfen und Wasser kochen. Mich erstaunt immer wieder, dass man für 1 ltr Wasser fast „einen halben Sack voll Neuschnee“ braucht.  

An diesem wie auch an den meisten übrigen Tagen sieht unsere Verpflegung übrigens in etwa wie folgt aus: das Frühstück besteht aus einem süßen Milchbrei (Milchreis mit Vanillegeschmack + hin und wieder eingerührtem Müsli), tagsüber 2 Energieriegel von Ultra-Sports nebst Schokolade, Nüssen und Keksen, abends dann Nudelgerichte, verbessert mit Brühesuppen oder die fertige Expeditionsnahrung (i.d.R. Nudeln mit Fleisch oder Käse gemischt), aufgebrüht mit kochendem Wasser, dazu – solange der Vorrat reichte – Brot, etwas Käse oder Salami. Hauptgetränke sind natürlich schwarzer oder Pfefferminz-Tee und davon 3-4 ltr / Tag. Solange unser Vorrat reichte, morgens vor dem Abmarsch ¼ ltr Ultra-Sports-Buffer zu Abpufferung evt. Magensäure und Auffüllung der Vitamin- und Mineralstoffspeicher vor der Belastung des Tages.

Als absolutes Highlight des heutigen Tages gibt es flüssige, heiße Mousse au Chocolate – verfeinert mit Milchpulver und Hot Chocolate Pulver, weil wir heute die 3.000er Marke geknackt haben.
(meine O2-Konzentration am Abend = 95%)

17.05.09 Kahiltna Pass (3.030m) → Motorcycle Hill (3.350m)

Der sinnige Name Motorcycle Hill mitten im Gebirge kommt daher, dass einige Motocross Fans in Amerika und Europa versuchen, mit dem Motorrad immer steileres Gelände zu bewältigen und zwar solange bis der Fahrer entweder freiwillig „absteigt“ oder er – meistens mit einem Salto rückwärts – von der Steilheit des Berges dazu gezwungen wird. Dieser Art ist der Motorcycle Hill. Eberhard und ich haben also erneut das Vergnügen, unsere Pulken in steilem Gelände „hochzuzwingen“, immer begleitet von der Möglichkeit, dass ein Zugseil reist und die Pulka abwärts rauscht. Gott sei Dank sind es heute nur insgesamt 300 Höhenmeter und so erreichen wir nach 3 Stunden das neue Lager.

Hier wollen wir – wie Alex und Heiko auch – 2 Nächte bleiben und es uns „gemütlich“ machen. Deshalb graben wir unsere Zelte besonders tief ein, zumal die Sturmstärke mit der Höhe i.d.R. zunimmt.

Den Nachmittag nutzen wir noch zu einem kleinen „Akklimatisations-Ausflug“ auf 3.500 m, um der Regel zur Vermeidung der Höhenkrankheit „go high, sleep low“ gerecht zu werden. Höhenkrankheit kann sich spätestens oberhalb von 3.000m mit den ersten Symptomen wie Kopfschmerzen und Mattigkeit ankündigen. Wir alle 4 sind davon aber bisher verschont, was uns hoffen lässt, dass sie uns auch in höheren Regionen nicht ereilen wird. Unser „Akklimatisations-Ausflug“ hat noch einen wichtigen Nebeneffekt: Mit den Schneeschuhen, die wir bisher benutzt haben, kann man zwar ganz gut flach und bergauf gehen aber nicht bergab ab einer gewissen Steilheit. Deshalb vergraben wir sie und gehen ab sofort nur noch mit Steigeisen.
(meine O2-Konzentration am Abend = 91/92%)

18.05.09 Motorcycle Hill (3.350m)  → Windy Corner (4.040m) → Motorcycle Hill (3.350m) 

Nachdem wir dachten, Ski Hill und Motorcycle Hill seien im Hinblick auf Steilheit schon das, was man maximal mit Gewicht bewältigen kann, habe ich heute gelernt, dass es noch steiler geht. Ziel der Etappe ist es, etwa die Hälfte der Ausrüstung – diesmal nur mit Rucksack – auf gut 4.000m zu transportieren, dort zu cachen also ca. 1 m tief ins Eis einzugraben und wieder zum Lager in 3.350m hinabzusteigen.

Neben der Steilheit ist diese Passage teilweise auch ziemlich ausgesetzt. Daher gehen Eberhard und ich immer am Seil. Die Erfahrung und die Nähe von Eberhard geben mir ein spürbares Gefühl der Sicherheit. Nachträglich betrachtet war dieses Gefühl allerdings mehr psychologischer Natur, denn bei einem Sturz von einem von uns kann der andere nur unter bestimmten Umständen den Sturz des anderen auffangen. Die Windy Corner macht ihrem Namen alle Ehre; der fortwährend starke Wind erfordert besonders hier die volle Konzentration, sogar bei Pausen auf jedes Ausrüstungsteil sorgfältig zu achten. Ein abgelegter Handschuh oder ein vom Rucksack abgeschnallter Schlafsack sind im Handumdrehn einige hundert Meter tiefer oder auch vom Wind aufgewirbelt, höher, und damit auf immer verloren, wenn sie nicht ständig festgehalten oder beschwert werden. Eine normale sprachliche Verständigung ist in diesem Bereich auf Grund der Windgeräusche kaum möglich; hinzukommt noch, dass einige Passagen nur sehr schmale, teilweise steile Traversen sind, die mit voller Konzentration auf jeden Schritt gegangen werden müssen. Leider ist es zumindest mir nicht möglich, dabei gleichzeitig einen Blick für die grandiose Bergwelt um uns herum zu werfen und die einmaligen Ausblicke zu genießen.
Das Wolkenbild zeigt beim Abstieg zum Motorcycle Hill typische Windwolken als Vorboten schlechteren Wetters; auf einigen Gipfeln sehen wir „Schneefahnen“, die ebenfalls von hoher Windgeschwindigkeit in diesen Regionen zeugen. Unten angekommen, erhöhen wir die Eiswälle unseres Zeltes um eine weitere Lage, um in der Nacht nicht hinauszumüssen, falls der Wind weiter zunimmt.
(meine O2-Konzentration am Abend = 91/92%)

19.05.09 Motorcycle Hill (3.350m)  → Medical/Basin Camp (4.330m)

Nach stürmischer Nacht und Zeltinnentemperatur von – 10°C haben wir bis 11:00h mit dem Abmarsch gewartet. Einerseits ist die wärmende Sonne dann bereits ca. 2 Stunden da und andererseits können wir das Wetter für den Rest des Tages besser beurteilen. Wir haben beschlossen, 1 Pulka im Motorcycle Hill Camp zu vergraben und nur mit den Rucksäcken und der 2. Pulka hochzusteigen. Eberhard zieht diese Pulka und ich bin ihm sehr dankbar dafür, denn es ist – zumindest für mich der bisher härteste Tag. Die Blasen an meinen Füssen sind zwar professionell von Eberhard behandelt und verbunden, so dass keine Entzündungen entstehen können. Doch nach der tagelangen Beanspruchung spüre ich besonders am Anfang der Etappe jeden Schritt,  während später ein gewisser Gewohnheitseffekt eintritt. Ich bewundere Eberhard dafür, dass er neben dem Rucksack auch noch die Pulka zieht, eine Leistung, die ich an diesem Tag kaum erbracht hätte.

Nach 6 Stunden echtem fight mit uns, dem Berg und vor allem mit der einen Pulka erreichen wir unser cache-Lager an Windy Corner, graben die dort am Vortag eingegrabene Ausrüstung wieder aus, verteilen sie auf Pulka und Rucksäcke und steigen die restlichen 200 Höhenmeter zum Medical /Basin Camp weiter auf.
Dort kommen wir um 18:00h an und beginnen unsere „Freizeit“ wie üblich mit Grube graben, Zelt aufbauen, etc. ehe wir dann gegen 21:00h ziemlich durchfroren in unseren „Tagesklamotten“ in die wärmenden Schlafsäcke kriechen.
(meine O2-Konzentration am Abend = 86%)

20.05.09 Ruhetag im Medical /Basin Camp (4.330m)

Nach nunmehr 6 Tagen am Berg, ist heute der erste, dringend benötigte Ruhetag. Das Medical Camp hat eine dauerhaft besetzte Arzt- und Rangerstation sowie für Notfälle einen Hubschrauberlandeplatz. Es liegt aber ziemlich frei und ist auch bedingt durch Wind und Höhe verdammt kalt. Der längere Aufenthalt im Freien geht nur dann einigermaßen, wenn die Sonne scheint. Sonst, ohne ausreichende Bewegung, ist es so kalt, dass man sich schnell wieder in’s Zelt verkriecht.

Im Medical Camp lagert jetzt in der beginnenden Hauptklettersaison eine größere Anzahl von Expeditionen aus aller Welt – u.a. USA, Korea, Japan, Schweiz, Italien, Polen, und Spanien. Besonders beeindruckt sind wir von mehreren Frauen, denen unsere höchste Bewunderung gilt. Plätze wie hier sind im Hinblick auf „Wohnen“, Essen, Schlafen, Außentemperaturen und Hygiene nicht sehr komfortabel.

Der Ruhetag hat einige sehr angenehme Seiten: wir haben ausreichend Gelegenheit in Ruhe und bei teilweise guter Sicht wirklich einmalige und wahrscheinlich in unserem Gedächtnis lebenslänglich „haltbare“ Ausblicke von diesem 4.330m hohen Platz zu genießen. Von hier sieht man herunter in die 4.000m tiefer liegende Tundra mit ihren grünen und braunen Farbtönen, silbrig durchzogen von breit gefächerten, wild sich schlingenden Gletscherflüssen. Auf gleicher Höhe dann zahllose Gipfel dieser großen – Alaska Range genannten – Gebirgsregion und den Blick nach oben schweifend die beiden „Berg-Geschwister“ „unseres“ Mt.McKinley – den Mt.Foracker und den Mt.Hunter. Das alles eingehüllt in unterschiedliche Wolkenbilder in verschiedenen Höhen und betrachtet durch die gelbtönige Skibrille erinnert mich stark an Disney-World in Florida, ist fast unwirklich und macht die Kälte hier oben nur noch zu einem Nebenkriegsschauplatz.

Eine 2. angenehme Seite des Ruhetages ist die Beobachtung und der Kontakt zu anderen Expeditionen. Da sind die Koreaner, stets lächelnd, mit mehreren weiblichen Mitgliedern; sie üben das „am Seilgehen“ mit einer Art militärischem Drill – und immer ihre Nationalflagge mit dem blau/roten Punkt auf weißem Grund – vorantragend. Dann die Amerikaner: das sind die professionellsten, auch mit einigen Frauen dabei, die stets gute Laune haben und trotz beißender Kälte draußen stehen, schwadronieren und laut lachen; sie haben neben den 2 Mann/Frau-Zelten noch ein Gemeinschaftszelt: sieht aus wie ein Zirkuszelt oder ein großer Regenschirm, eine runde Grube überspannend mit „Eissitzen“ im Rund und einem „Eistisch“ in der Mitte. Dort werden täglich die Expeditionsmeetings abgehalten und die Unterweisungen für den nächsten Tag ausgegeben. Es sind dies die weltweit operierenden Mountaineering Agentcies, meist mit Sitz in Seattle, die an allen interessanten Bergen der Welt Expeditionen führen.

Der Ruhetag hat für mich persönlich noch eine 3. sehr praktische und sinnvolle Beschäftigung: Die Zeit kann genutzt werden, um hier mit Hilfe von Eberhard nochmals einige wichtige technische Fertigkeiten und Seilknoten zu üben, die für mich erstmals am Berg auf der nächsten Etappe anstehen: die Benutzung der Steigklemme am Fixseil, die Absicherung mit einem Sicherheitskarabiner und der Gebrauch des Abseilachters. Sehr gut, dass Eberhard mir beim Vorbereitungstraining in der SnowWorld / Landgraaf die Grundkenntnisse bereits vermittelt hatte, aber im life-Angesicht, des mit Fixseilen bestückten, steilen und vereisten 400m Headwall, der vom Medical Camp hinauf zum High Camp führt, habe ich doch ein starkes Bedürfnis, ein Sondertraining einzulegen.

Der 4.Vorteil des Ruhetages besteht darin, nochmals die komplette Ausrüstung so zu sortieren, dass die „Lage“ der einzelnen Teile im Rucksack bzw. in den diversen Anorak-, Hosen- und Daunenjackentaschen blind zu finden sind und auch, um das eine oder andere Teil zwecks Gewichtsersparnis noch zu cachen/vergraben.
Am späteren Nachmittag machen Eberhard und ich noch einen kleinen Akklimationsspaziergang auf ca. 4.450m um erneut „high zu gehen aber low zu schlafen“.
Am Ende dieses Tages fühle ich mich wohl: Eberhard hat meine Blasen versorgt; sie schmerzen kaum noch (oder fühle ich sie nur nicht mehr??), meine Ausrüstung, die im Laufe des Aufstieges immer kleiner geworden ist, habe ich jetzt richtig „im Griff“, ich fühle mich körperlich fit und das Wichtigste: ich fühle mich mental gewappnet nach unserem Techniktraining heute und bin heiß auf das erste Benutzen der Fixseile dort oben.
(meine O2-Konzentration am Abend = 87%)

21.05.09 noch ein Ruhetag im Medical /Basin Camp (4.330m)

Leider ist es heute Morgen so stürmisch, dass wir den Aufstieg zum High Camp auf 5.245m für zu kalt und zu gefährlich halten. Andere Deutsche, die unsere Nachbarn sind, haben im Zelt -17°C gemessen, was draußen in etwa -27°C entsprechen dürfte. Wir verlassen heute das Zelt nur, um die Schneewälle zu erhöhen und zu befestigen. Als Tageshighlight bekommen wir von 2 Schweizern, die am Tag vorher auf dem Gipfel waren und jetzt auf dem Weg nach unten sind, ein first-class, kalorienreiches, super-schmeckendes original Schweizer Früchtebrot, eine Packung Cornflakes und 2 Tafeln echter Schweizer Schokolade geschenkt. Wir nehmen es zum Anlass, Eberhards ärztlichen Rat „am Berg muss man sooft und soviel wie möglich essen“ besonders intensiv zu befolgen; allerdings bewahren wir uns noch Teile dieser wertvollen Kost speziell für den „Tag vor dem Gipfel“ auf, um vor allem dann gerüstet zu sein.

Eine besondere Herausforderung an diesem Tag sind „Toilettengänge“ auf die 3-wändige, etwa 1,50m hohe, aber nach oben und vorne offene, mitten auf dem Gletscher stehende Holzlatrine. Wenn der Wind mit 70 oder 80 km/h von vorne bläst, dabei Unmengen Schnee und Eis im Gepäck hat und die Außentemperatur bei -20°C liegt, gibt es angenehmere Verrichtungen. In positiver Denke muß man sich dann motivieren mit der Frage: auf welchem Klo hat man schon einmal solche Life-Ausblicke auf die Spitze des Mt.Foracker?

22.05.09 Medical/Basin Camp (4.330m) → High Camp (5.245m) → Medical Camp (4.330m)

Ich gestehe, dass ich etwas nervös bin, als wir ziemlich spät gegen 11:30h aufbrechen. Wir wollen heute die Hälfte der verbliebenen Ausrüstung und Verpflegung zum High Camp auf 5.245m bringen und dann wieder zum Medical Camp absteigen. Mein Rucksack ist zwar nicht sehr schwer – ich schätze 15 kg – aber in voller Montur mit 3 Hosen, 2-3 Jacken, dem Klettergurt nebst allen möglichen Anhängseln wie Karabiner, Steigklemme, Eisschraube, Bandschlingen etc. fühle ich mich unflexibel und vor allem der Gedanke an das Steilstück des Headwalls beschäftigt mich. Dieses ist etwa 50-55° steil, und erstreckt sich über 8 Seillängen à 50m also 400m, mit Fixseil versehen und über eisigen Untergrund. Für erfahrene „Bergleute“ wie Eberhard, Alex und Heiko ist das alles relativ normal aber für mich ist es halt das erste Mal.
Zunächst ist also der steile Headwall bis auf 4.900m zu bewältigen. Nach einem Anstieg von etwa 1 Stunde kommen wir an den Beginn der Fixseile. Hier gibt es den häufig an solchen Einstiegen üblichen und wegen des Zeitverlustes und dem Warten in der Kälte gefürchteten Stau. Vor uns bewegen sich 2 amerikanische Expeditionen im Zeitlupentempo nach oben und wir haben Mühe, am steilen Berg überhaupt einen sicheren und halbwegs bequemen Standplatz für die Wartezeit zu finden. Nach einiger Zeit geht es dann auch für uns los – für mich das erste Mal am Fixseil. Bevor man sich daran mit Hilfe der Steigklemme hochziehen kann, ist eine etwa mannshohe Stufe aus Eis zu überwinden. Es ist dies der so genannte „Bergschrund“, also die Stelle, an der sich der Gletscher vom Berg löst. Nach kurzem Eingewöhnen in die Arbeit mit der Steigklemme und dem jeweiligen Wechseln aufs neue Fixseil an den Befestigungspunkten, läuft es ganz gut nach oben. Im Eis dieses Steilstückes sind teilweise Stufen von vor uns gekletterten Bergsteigern vorhanden und die Tritte vermitteln zusammen mit den Steigeisen das Gefühl von gutem „grip“.

Nach gut einer Stunde erreichen wir das Ende der Fixseile bzw. kommen auf der Höhe des Headwall an. Nachträglich betrachtet ist dieses steile Stück – nach dem Training im Medical Camp und mit Eberhard immer nahe unter mir – gar nicht so herausfordernd gewesen, wie es sich optisch von unten angesehen hat. Auf dem kleinen Sattel oberhalb des Headwall angekommen, erleben wir, dass ein amerikanischer „Kollege“ unachtsam ist und seinen Schlafsack für einen Moment „lose“ abgelegt hat. Im Nu fliegt er von dannen und damit ist seine Aussicht auf den Gipfel erst mal gleich „0″, denn er muß nun – wütend über sich selbst und unverständliche amerikanische Flüche murmelnd – absteigen und erst mal einen neuen Schlafsack „organisieren“.

Für uns geht es jetzt weiter über einige ausgesetzte „ridges“ (Grate), die teils aus Fels teils aus Schnee/Eis bestehen. Dies ist eine längere Passage der „West Butress“, bei der man mit Stockeinsatz rechts und links der ridge gut die Balance halten kann. Vorher war es für mich kaum vorstellbar, dass man hier aufrecht mit Rucksack einfach darüber gehen kann; heute aber schon fast Routine.

Nach 51/2 Stunden für fast 1.000 Höhenmeter – so eine Art neuer Rekord – erreichen wir das High Camp auf 5.245m. Es ist noch kälter als das Medical Camp, wir cachen/vergraben die transportierte Ausrüstung, kennzeichnen die Stelle mit unserer „No 710 wand“ und klettern wieder hinunter zum Medical Camp. Der Abstieg ist für mich erneut „gewöhnungsbedürftig“. Im Bereich der West Butress sieht man nun bergab, dass die ridges komplett ausgesetzt, schmal und recht lang sind und das Abwärtsgehen über diese schmalen Stege erfordert eine wesentlich höhere Konzentration und mentale Stärke als das Hochsteigen. Auch das erstmalige Abwärtsklettern am Fixseil, gesichert durch einen Prusik-Knoten und einen Karabiner „mit Blick nach unten“ ist anfangs sehr gewöhnungsbedürftig, klappt aber dann ganz gut. Nach 3 Stunden Abstieg erreichen wie das Medical Camp und sind ganz schön ausgepowert. Zur Belohnung gibt es einen gekühlten Ultra-Buffer-Drink, der normalerweise als Mineral- und Vitamindrink „vor dem Wettkampf“ dient, der diesmal aber als Genussmittel erfrischt und die Tagesanstrengungen vergessen lässt.
(meine O2-Konzentration am Abend = 88%)

23.05.09 Medical/Basin Camp (4.330m) → High Camp (5.245m)

Heute sind Eberhard und ich erneut zum High Camp aufgestiegen und haben die restliche Ausrüstung und Verpflegung nach oben transportiert. Heiko und Alex sind noch im Medical Camp geblieben. Das Steilstück mit den Fixseilen und die ridges der West Butress gehen heute schon fast routinemäßig.

Im High Camp ist es sehr ungemütlich: schon am Abend draußen unter -20°C bei ziemlich starkem Wind. Wir verschwinden früh ins Zelt. Der um 20:00h an eine amerikanische Expedition übermittelte und von uns mitgehörte Wetterbericht sagt für morgen nichts Gutes: vor allem Wind mit 60-70 Stundenkilometer und in der H&oum